Masken-Macher aus Bayern bitten Regierung um Hilfe, doch Politiker zieren sich

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Von: Armin Forster

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Mit Corona-Masken aus Bayern haben drei Gründer eine Erfolgsstory geschrieben. Doch nun fürchtet ihre ganze Branche um die Existenz. Sie appelliert nun an die Politik.

Moosburg/Essenbach – „Wir können in unsere Memoiren schreiben, dass wir mal eine komplette Boeing 747 gechartert haben“, sagt Orhan Söhmelioglu. Er fasst sich lachend an die Stirn, während er mit seinen Geschäftspartnern Sabahattin Incekalan und Volkan Akoglu im Büro ihrer Fabrik bei Landshut sitzt und sich an die abenteuerlichen Anfänge des Geschäfts erinnert.

Corona in Bayern: Angebote für Millionenaufträge abgegeben - ohne eigenen Masken-Bestand

„Die Sitze waren ausgebaut. Auch im Rumpf war alles voll mit Masken-Kartons für uns.“ Diese Anekdote stammt aus dem Frühjahr 2020, als ganz Deutschland nach Mund-Nasenschutz rang und sich drei befreundete Unternehmer aus Moosburg und Landshut aufmachten, diese Nachfrage zu stillen. Mit Wagemut, Glück und harter Arbeit haben Söhmelioglu (41), Incekalan (34) und Akoglu (32) seither eine echte Erfolgsstory geschrieben. Nun müssen sie jedoch darum kämpfen, dass es keine Kurzgeschichte bleibt.

Aber der Reihe nach. Als die Corona-Pandemie Anfang 2020 Deutschland erstmals in die Zange nimmt, werden in Kliniken und bei Ärzten die Schutzmasken rar. Die Regierung startet eilig Ausschreibungen. Es ist auch die Zeit, als Orhan Söhmelioglu in seiner Moosburger Handelsfirma SWS Schüler für Hygiene- und Gastrobedarf Tag und Nacht Klopapier verkauft: 20 Lkw voll, so viele Rollen wie sein Betrieb in zwei Jahrzehnten nicht gehandelt hat.

Dass die Deutschen wie wild hamstern, federt Söhmelioglus übrige Umsatzeinbrüche ab. In diesen Tagen melden sich seine Freunde Sabahattin und Volkan bei ihm: Die beiden Selbstständigen wollen eine der Ausschreibungen des Bundes ergattern, zu dritt sehen sie größere Chancen. Es ist wohl auch einiger Übermut im Spiel, als das Trio schließlich zwei Angebote für Millionenaufträge abgibt. Denn: Noch haben sie überhaupt keine Masken.

Corona-Lockdown: Firma aus Moosburg erhält Zuschlag- 100.000 FFP2-Masken bis Ende April

Ein paar Tage später kommt tatsächlich der Zuschlag – für gleich beide Aufträge. Jetzt sollen sie dem Gesundheitsministerium bis Ende April fünf Millionen OP-Masken sowie 100.000 FFP2-Masken besorgen. Und ab Mitte August 500.000 Stück pro Woche produzieren. Zu dieser Zeit gibt es die Ware in solchen Mengen nur in Asien. Über die Messenger-App WeChat gelangen die Männer an einen Kontakt zu einem chinesischen Hersteller, mit dem man sich einig wird.

Die Masken für die erste Ausschreibung zu kaufen und nach Deutschland zu fliegen, kostet aber inklusive des Frachtflugs – die Boeing aus den „Memoiren“ – zweieinhalb Millionen Euro. Akoglu, Incekalan und Söhmelioglu kratzen all ihre Vermögen zusammen und leihen sich noch Geld bei ihren Banken. Ohne eine echte Sicherheit des Lieferanten zu haben, überweisen sie ihm über die Sparkasse Landshut 2,5 Millionen Euro. Sie haben gehörig Bauchschmerzen – und Glück: Letztlich geht alles gut aus, die Ware wird geliefert, der erste Auftrag erfüllt.

Corona: Masken made in Bavaria im Eiltempo realisiert - Gründer stehen selbst am Band

Mit dem Gewinn aus diesem Deal ordert das Trio sofort bei einem Maschinenbauer in Thüringen die ersten sieben Produktionsanlagen. Am 29. Mai wird die SWS Medicare GmbH gegründet. Die drei Unternehmer suchen sich bayerische Stofflieferanten, bauen und prüfen erste Prototypen.

Parallel treiben sie eine Industriehalle in der Gemeinde Essenbach auf und kümmern sich um die CE-Zertifizierung ihrer Masken. Dann werden die ersten 24 Mitarbeiter eingestellt, Maschinen und Hochregale aufgebaut – alles im Eiltempo, versteht sich. Am 3. August spuckt ihre Produktionsstraße die erste Maske made in Bavaria aus. Damals stehen die drei Gründer noch selbst am Band.

Gleich in der ersten Woche führen sie eine Nachtschicht ein, rekrutieren weiteres Personal. Arbeiter zu finden, war das geringste Problem, erinnert sich Sabahattin Incekalan heute. „Viele waren ja durch die Krise arbeitslos.“ Die Bewerbungsgespräche habe man im Viertelstundentakt geführt. Mitte September, der Betrieb zählt nun schon 110 Angestellte, reicht der Platz nicht mehr aus. In der Nachbarschaft werden weitere 1500 Quadratmeter angemietet, dazu in Moosburg eine Außenstelle eingerichtet. Auch über ein eigenes Prüflabor verfügt das Unternehmen.

Corona-Lockdown in Bayern: Am Höhepunkt arbeiten 217 Beschäftigte für „Bayerns Masken-Könige“

Und dann beweisen die drei Geschäftsleute wieder einmal ihren richtigen Riecher: Über drei Ecken haben sie erfahren, dass sich die Regierung wohl auf einen harten Lockdown vorbereitet. Als sie beisammensitzen und den Kalender durchblättern, erscheint ihnen nur eine Option plausibel: Vor Ostern wird wohl nicht mehr gelockert! Also bestellen sie massenhaft Ware auf Vorrat, um bis April durchproduzieren zu können. Und siehe da: Die Prognose war goldrichtig.

Den bisherigen Höhepunkt erlebt SWS Medicare zum Jahreswechsel, als Masken-Gutscheine für Apotheken an die Bevölkerung verteilt werden. Da arbeiten 217 Leute in der Firma, die mittlerweile zwölf Maschinen rattern und zischen Tag und Nacht. Bundesweit rangiert das Start-up nun unter den Top 3 der Hersteller für Mund-Nasen-Schutz, in Zeitungs- und Fernsehberichten werden sie als „Bayerns Masken-Könige“, „Die drei Masketiere“ und ihre Firma als „Masken-Mekka“ gefeiert.

Ein halbes Jahr später. Gut 50 Millionen Stück hat SWS Medicare inzwischen produziert. Doch die Euphorie ist verflogen. Als Sabahattin Incekalan, Orhan Söhmelioglu und Volkan Akoglu Anfang Juni durch ihre Produktionshalle streifen, rattert und zischt es zwar immer noch gehörig. Aber ein Teil der Maschinen steht nun still, und von den 217 Beschäftigten sind nur noch 130 übrig.

„Zwei unserer Mitbewerber haben schon zugemacht“, erzählt Incekalan, während er den Blick durch die Halle schweifen lässt. Und Söhmelioglu klagt: „Die Firmen verkaufen ihre Maschinen und verramschen ihre Masken.“ Warum? „Weil der Markt im Augenblick überfüllt ist mit 15-Cent-Asia-Ware.“ Zu diesen Verkaufspreisen, sagt Söhmelioglu, könne man hierzulande nicht einmal produzieren.

Corona-Masken aus Deutschland: Maskenverband will Firmen retten und Versorgung sichern

Aber auch diese Hürde wollen die drei Macher überwinden. Und so wird eigens der „Maskenverband Deutschland“ gegründet. Rund 45 Hersteller und Lieferanten sind darin bereits organisiert, um gemeinsame Interessen mit möglichst starker Stimme zu vertreten und Synergien zu nutzen. Orhan Söhmelioglu ist Vorsitzender des Vereins mit Sitz in Landshut.

Sein Appell an die Politik: „In der Not waren hier Unternehmer da, die dem Ruf nach Masken made in Germany gefolgt sind.“ Weil jetzt ein bisschen Ruhe eingekehrt sei, „und weil es die Vorfälle mit Nüßlein, Sauter und Co. gegeben hat, hält sich jetzt jeder von unserer Branche fern“. Aber gerade jetzt müsse eine Unterstützung folgen, müsse die Politik die Produzenten an die Hand nehmen, fordert Söhmelioglu. „Damit es diese Firmen auch in Zukunft noch gibt, und die Grundversorgung in Deutschland gewährleistet ist.“ Aber auch, damit durch lokale Produzenten Qualität, Rückverfolgbarkeit und auch Haftung gewährleistet seien.

Klar, er wisse, dass es nun mal die freie Marktwirtschaft gibt. „Du kannst auch nicht zu Deichmann sagen: Wir helfen dir jetzt, Schuhe zu verkaufen, weil dein Absatz gesunken ist.“ Man erwarte vonseiten des Verbands überhaupt nicht, dass alle Hersteller voll ausgelastet würden. „Aber“, so sagt Söhmelioglu, „vielleicht findet sich eine Regelung, mit der wir unsere Produktionen in einer Grundlast sichern können.“

So, dass man sich den Laden noch leisten könne. Konkret schwebt ihm ein Subventionsmodell vor: „Wir wünschen uns, dass etwa Krankenhäuser, -kassen oder Kommunen einen gewissen Zuschlag von der Regierung gezahlt bekommen, wenn sie deutsche Masken bestellen.“ Das sei die einfachste und schnellste Möglichkeit, das Problem zu lösen.

Corona: Masken-Macher aus Bayern in Not - „Wenn das so weiter geht, haben wir ein Problem“

Im Maskenverband müssten laut Söhmelioglu alle Mitglieder einen Kodex unterzeichnen. Der schreibe vor, dass die Hauptproduktion in Deutschland liege sowie 80 Prozent der Maschinen und Materialien aus dem Inland stammten. Außerdem verlange man von den Beteiligten eine Erklärung, „dass die Mitglieder anständige Arbeitslöhne zahlen und nichts mit Bestechungsgeldern zu tun hatten“, betont Söhmelioglu.

Auf die Frage, ob SWS Medicare in Verbindung mit Provisionszahlungen an Politiker gestanden habe, schüttelt Sabahattin Incekalan entschieden den Kopf: „Never ever! Und da sind wir auch verdammt stolz drauf.“ Dass sich die meisten Abgeordneten inzwischen scheuten, in einem Atemzug mit dem Thema Masken genannt zu werden, erschwert dem Verband allerdings die Lobbyarbeit. Auf Einladungen zu Informationsgesprächen hätten nur wenige Entscheidungsträger reagiert. „Wenn das so weiter geht, haben wir ein Problem“, sagt Söhmelioglu.

Ein paar Lokalpolitiker hatten sich im vergangenen Jahr dann doch ganz gerne mit den Gründern der SWS Medicare ablichten lassen, wie ein Blick auf die Facebook-Seite des Herstellers zeigt: Einige Bürgermeister aus der Region und zum Beispiel auch Landshuts Landrat Peter Dreier nahmen dankbar palettenweise Masken in Empfang, die die Firma als Spende überreicht hatte.

Corona im Landkreis Freising: 350.000 Masken gespendet - an Schulen, Feuerwehren, Gemeinden und Altenheime

Insgesamt 350.000 Stück gingen so an zahlreiche Kommunen, Schulen, Altenheime, Obdachlosenhilfen oder auch Feuerwehren – von Niederbayern bis nach München. Auch ein Hilfskonvoi für Erdbeben-Opfer in Kroatien, organisiert vom Landesfeuerwehrverband, hatte 55.000 Masken aus Essenbach an Bord. „Wenn wir um Hilfe gefragt wurden, haben wir gespendet. Und wir spenden immer weiter“, verspricht Söhmelioglu.

Beim Gang durch die Firma liegt dem 41-Jährigen dann noch etwas auf dem Herzen: „Inzwischen haben wir hier bestimmt schon sechs bis sieben Millionen Euro investiert“, sagt Orhan Söhmelioglu. „Wir hätten’s auch bei drei belassen können. Aber wir haben immer so gehandelt, dass wir auch nach 2021 noch existieren können.“

Die Firma verfüge heute über einen Betriebsarzt und eine erfolgreiche ISO-Zertifizierung, damit auch große Firmen beliefert werden können. Er bleibt in der Kantine stehen, in der ein paar Arbeiter gerade mittagessen. „Der Brotzeitwagen, der am Anfang hergekommen ist, hätte auch gereicht. Aber wir haben für 50.000 Euro eine Kantine gekauft und zwei Köchinnen angestellt. Wenn du nur ein Jahr existieren willst, brauchst du das alles nicht.“

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