Urlaubsgefühl wie früher: So geht es im Ferienlager für Ü18-Jährige ab

Einen Paillettenrock, eine Fellweste und einen glitzernden Zylinder - viel mehr braucht es nicht, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der "Schnitzeljagd des Wahnsinns" in ihren Rollen ankommen. Passend zum Outfit zieht jeder einen Zettel, auf dem sein ganz persönlicher Wahnsinn notiert ist: Plötzlich findet Lukas hier alle "super hot", Madlen jammert über den Dreck im Wald und Alex wird zum Höhlenmenschen. Die Schnitzeljagd ist Teil eines Ferienlagers speziell für Erwachsene.

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20 Menschen haben dabei für vier bis sechs Tage ihr Lager auf einem Zeltplatz in Rosenberg im Ostalbkreis aufgeschlagen. Je tiefer die bunt kostümierte Gruppe in den Wald vorstößt, desto ausgelassener wird die Stimmung. An Bäumen hängen Zettel mit Aufgaben, so dass bald jeder seltsam anmutende Verhaltensweisen an den Tag legt. Nils sucht verzweifelt nach Puck aus Shakespeares Sommernachtstraum, Madlen schreit ständig "links" und Christoph zeigt allen seine Muskeln. "Das ist der perfekte Moment, um Charaktereigenschaften herauszulassen, die man sonst nicht auslebt." Der Satz von Sandra Wilde - Organisatorin des Spektakels - ist Programm.

Doch wer sind die Menschen, die in Camping-Stühlen unter einem weißen Zelt sitzen, Gesellschaftsspiele spielen oder im Teich baden? Und warum sind sie in dieses Ferienlager gekommen? "Wir waren früher bei der Jugendfeuerwehr im Zeltlager", erzählt die 27-jährige Sandra. Gemeinsam mit ihren zwei Freundinnen wolle sie noch einmal das Feriengefühl von früher erleben. "Man ist so sorglos und lebt in den Tag hinein", sagt die Wirtschaftsingenieurin. Die Vorteile des Ü18-Lagers: Es gebe weniger Regeln, man müsse nicht um Punkt 8.00 Uhr beim Frühstück sein und Alkohol sei erlaubt.

Schnell entsteht ein Gemeinschaftsgefühl

Auch die 37-jährige Madlen war als Kind etwa fünfmal im Ferienlager, wie sie erzählt. "Vor zwei Tagen waren wir uns hier noch fremd, nun hat man so ein richtiges Gemeinschaftsgefühl", sagt die Leiterin eines Kinderhauses. Was wer beruflich mache oder das Alter der anderen spiele hier kaum eine Rolle.

Urlaubsgefühl wie früher: So geht es im Ferienlager für Ü18-Jährige ab

Auf der vorab an die Teilnehmer des Ferienlagers versendeten Packliste steht neben den Punkten "feste Schuhe", "Schlafsack" und "Mücken- und Zeckenschutz" auch "Dein inneres Kind mit Flausen im Kopf und unendlicher Neugier".

Die vermeintlichen Kinderspiele im Lager seien kein Quatsch, sondern hätten positive Effekte, sagt der Spielforscher Jens Junge. "Spielen ist ein Grundphänomen des Menschen, das auch nach der Kindheit noch eine große Rolle spielt. Wenn Erwachsene spielen, können sie Verpflichtungen und Zwänge aus dem Alltag vergessen", sagt der Gründer des Instituts für Ludologie - der Lehre vom Spielen - an der Design Akademie Berlin. Es befreie und ermögliche den Ausbruch aus starren Rollen. "Spielen wirkt quasi wie ein Ventil."

"Die Leute sind hier, um runterzukommen"

Welches Programm die Frauen und Männer im Alter zwischen 25 und 44 Jahren erwartet, wussten sie vor ihrer Ankunft nicht. "Die Leute sind hier, um runterzukommen. Wir wollen einfach die gute alte Zeit wiederholen", erklärt Nils Stauch, der das Lager gemeinsam mit Sandra Wilde ins Leben gerufen hat. Der braun gebrannte Wildnispädagoge trägt eine Wanderhose, an der ein Messer baumelt. Als Kind war der 38-Jährige bei den Pfadfindern.

"Jetzt machst du dich mit Pfadfinderei selbstständig", hätten Freunde zu ihm gesagt, als er und die 31-Jährige 2017 beschlossen, Outdoor-Kurse zu ihrem Beruf zu machen. "Ich vermisse meinen alten Job null Komma null", sagt Sandra Wilde, die vorher als Unternehmensberaterin gearbeitet hatte.

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Wenn Stauch seine Hände zu einem Trichter formt und einen lauten Krähenruf ausstößt, ist das ein Signal, dass gleich etwas passiert. Heute ertönt der markante Schrei unter anderem als Ankündigung für den gemeinsamen Bau einer Seilbrücke. Etwa zehn Leute finden sich und ziehen in den Wald, um aus Seil und Ästen eine Brücke zu bauen. Das Seil wird gemeinsam straff gezogen, wer beim Aufstieg Hilfe braucht, bekommt eine Schulter zum Festhalten oder eine Räuberleiter.

Wer möchte: morgens meditieren

Neben Spiel und Spaß ist Entschleunigung ein großes Thema im Camp. Wer mag, kann morgens an einer Meditation teilnehmen. Feste Essenszeiten oder Programmpunkte gibt es nicht. Gelebt wird nach der inneren Zeit. Kaum einer der Urlauber trägt eine Armbanduhr. "Man geht schlafen, wenn man müde ist. Es ist echt schön, nicht so durchgeplant wie sonst zu sein", sagt Teilnehmerin Sandra. Auch der im Alltag so typische Blick auf das Smartphone-Display fällt weg, denn Handyempfang gibt es auf dem Zeltplatz kaum.

Das Ferienlager für Erwachsene in Baden-Württemberg ist nicht das einzige seiner Art. Ein Veranstalter in Niedersachsen wirbt mit "verrückten Pyjamapartys" und bezeichnet das Lager als "Abenteuerspielplatz". Und in einem Lager in Norddeutschland tragen die Urlauberinnen und Urlauber unter dem Motto "Sei, wer du schon immer sein wolltest" neue Namen im Camp.

Spielforscher Junge beobachtet schon länger eine Zunahme von Spielveranstaltungen speziell für Erwachsene. So bieten unter anderem Indoor-Spielplätze Tobeabende für Menschen über 18 an. Auch die Spielwarenindustrie hat die sogenannten Kidults - Erwachsene mit Spaß an kindlichen Hobbys - längst für sich entdeckt. "Die Kindheit war für viele Menschen eine sehr schöne Zeit, an die sie gern zurückdenken. Eine solche Reise in die Vergangenheit ist eine Kraftquelle" sagt der 57-Jährige. "Wenn man in Erinnerungen an damals schwelgt, kann man sich das Wohlfühlgefühl zurückholen."