Spitzenfrauen der deutschen Biotechnologie: Für den Erfolg braucht es vielerlei Zutaten

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Bildnachweis: Plattform Life Sciences.

Die Plattform Life Sciences hat in einer gemeinsamen Einladung mit der Kanzlei Baker McKenzie eine Gesprächsrunde mit erfahrenen Gründerinnen, Vertreterinnen aus der rechtlichen Beratung sowie Wagniskapitalgesellschaften zum Thema organisiert: Ein Roundtable mit Gretchen Schweitzer (Geschäftsführerin Trophic Communications), Dr. Christine Schuberth-Wagner (Gründerin Rigontec, aktuell: CSO CatalYm), Julia Braun (LL.M., Partnerin Baker McKenzie), Ute Lassnig (ehem. Investmentbankerin, aktuell: Corporate Development & Innovate BD Evotec SE) sowie Dr. Birgit Zech (ehemals Axxima, Pieris, MAB Discovery, XRx, Gotham Therapeutics, aktuell: Anavo ­Therapeutics BV) und Dr. Karin Kleinhans (Partnerin, LSP)

Der Start des Unternehmens – Wissenschaft trifft Business trifft Charaktere

Plattform Life Sciences: Ist so eine Gründung immer ein Sprung ins kalte Wasser?

Dr. Schuberth-Wagner: Für mich war der Start in die Branche spannend, aber auch eine Herausforderung. Bis zur Vorbereitung der Gründung der Rigontec war ich als reine Wissenschaftlerin unterwegs und habe im Studium keinerlei Vorbereitung auf das Unternehmertum erhalten. In der akademischen Ausbildung bekommt der deutsche Naturwissenschaftler kaum Rüstzeug an die Hand, was in den angelsächsischen Ländern sehr viel interdisziplinärer gelöst ist. Allein eine erfolgreiche Gründung ist ja kein Selbstläufer: Bereits früh zu erkennen, dass es hilfreich ist, mit einem komplementär aufgestellten Gründerteam zu starten, ist ein essenzieller Punkt schon in einer sehr frühen Phase des Unternehmens. Zusätzlich ist es für Wissenschaftler oftmals schwer, sich von der wissenschaftlichen Idee zu trennen und diese in ein Produkt mit zugehörigem Markt zu überführen. Der Unterschied von Wissenschaftler zu Entrepreneur ist sicher, die Produktverliebtheit mit der Gründung abzulegen und den Fokus auf das Business zu legen. Auf diesen wichtigen und natürlichen Prozess vom Wissenschaftler zum Entrepreneur und Manager sind deutsche Gründer im internationalen Vergleich schlechter vorbereitet, sowohl vom Skillset als auch vom Mindset.

Schweitzer: Wissenschaftliche Gründer werden in den USA von den Investoren/VCs schon sehr früh darauf vorbereitet, dass es für das unternehmerische Wachstum oft besser ist, erfahrene Biotechnologiemanager hinzuzuziehen.

Dr. Kleinhans: Das ist wirklich der große Unterschied auch beim Marktverständnis des Gründerökosystems. Man hat hier in Deutschland immer noch verrückte Diskussionen, denen ein natürliches Verständnis des Markts und dessen Dynamik fehlen. Management zeichnet sich durch operative Exzellenz und Führungsstärke aus, nicht immer bringen Gründer und Wissenschaftler diese natürlicherweise mit. Ein Managementwechsel ist immer durch veränderte Businessbedürfnisse des Unternehmens getrieben, eine natürliche Dynamik, die das Beste der Gesellschaft im Auge hat, „nothing personal – just business“. Wechsel ist eine Chance: So generiert man einen Track Record und erweitert den Horizont. Hier in Deutschland wird Wechsel zu oft mit Versagen und Demütigung gleichgesetzt.

Dr. Schuberth-Wagner: Es ist extrem wichtig, mit seinem Spiegelbild im Reinen zu bleiben und mit sich selbst ehrlich umzugehen: Was sind meine Stärken und wie kann ich diese für das Unternehmen am besten einbringen? Das bedeutet, nicht immer an der Spitze zu stehen, sondern auch bewusst erfahrene Manager an Bord zu bringen, um dem Unternehmen die besten Chancen zu bieten – ein Verhalten, das leider auch oft mit Schwäche oder Versagen assoziiert wird.

Braun: Einen besonderen Spirit der heutigen Universitätsabsolventen sehen wir auch im Rechtsbereich: Wir bekommen auch nicht einfach und üblicherweise solchen Nachwuchs, der dann mit großem Einsatz und Engagement so richtig „brennt“. Die Tendenz vieler hoch qualifizierter Absolventen geht in eine vermeintlich sichere Position mit dem Anspruch auf die richtige Work-Life-Balance. Auch zwischen den großen international agierenden Rechtsanwaltskanzleien besteht Wettbewerb um die hoch motivierten und hoch qualifizierten Talente.

Lassnig: Auf der anderen Seite hat Deutschland für den Investor auch Vorteile, gerade bei Start-ups, weil man mit einem attraktiven Angebot wirklich gute Leute finden kann – in den USA steht man im Wettbewerb um „Talents“ untereinander, gerade an den Hotspots wie Boston und San Francisco.

Dr. Kleinhans: Wir suchen auch lange nach neuen Leuten, die Ausbildung zum Investor gibt es ja gar nicht. Zudem muss man den biomedizinischen Hintergrund bei uns mitbringen. In den USA ist das VC-Thema so präsent, die Leute haben das auch an den wissenschaftlichen Einrichtungen mitbekommen. Hier muss man das immer wieder von Grund auf erklären.

Start eines Unternehmens mit Blick auf die Rahmenbedingungen – Deutschland vs. den Rest der Welt

Gründungsökosysteme in Deutschland im Vergleich – wie sind Ihre internationalen Erfahrungen?

Dr. Zech: Ich war zuletzt in einem transatlantischen USA-Deutschland-Start-up tätig – dadurch habe ich gute Einblicke in die internationalen Unterschiede und Herausforderungen gewonnen. Manche Dinge sind einfach ungewohnt für die Kollegen in den USA, und andersherum, aber man darf das auch nicht überbewerten. Unsere neue Firma hat ihren Hauptsitz in den Niederlanden, aber die Forschung wird erst einmal in Heidelberg stattfinden, also intraeuropäisch, und auch das bringt schon eine gewisse Komplexität mit sich. Den richtigen Standort für das Labor haben wir europaweit gesucht, und dabei ist die neue Infrastruktur „BioLabs“ in Heidelberg als optimal für uns herausgekommen. Das BioLab bietet Platz und „Versorgung“ in einem Rundum-sorglos-Paket und Heidelberg hat mit dem EMBL und DKFZ international renommierte Forschungsinstitute. Wir haben als Rechtsform für Anavo die „BV“ gewählt, die Standardrechtsform in den Niederlanden. Die „BV“ lässt sich bekanntermaßen einfach in eine „NV“ wandeln für einen späteren Börsengang.

Braun: Die Komplexität wird bei grenzüberschreitenden Gesellschaften bzw. Strukturen nicht nur aus der Rechtsform, sondern auch der Besteuerung begründet. Die zwecks Harmonisierung geschaffene Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, kurz SE) ist zu komplex und eignet sich daher eher weniger für ein Start-up. Die deutsche GmbH ist hier immer noch die erste Wahl. Steuerrechtlich ist bei der Wahl des Standorts der Gesellschaft auch der Sitz der ­Geschäftsführer und sonstigen Entscheidungsträger zu berücksichtigen, um zu vermeiden, dass die Gesellschaft in einem von ihrem rechtlichen Sitz abweichenden Land (ggf. sogar zusätzlich) besteuert wird.

Manche auf die GmbH anwendbaren Regelungen haben einen langen historischen Hintergrund, der heute oft nicht mehr zeitgemäß ist. Ein Beispiel hierfür ist ein lange währender und sehr umfangreicher Gläubigerschutz aus dem Stammkapital der GmbH, welches mindestens 25.000 EUR beträgt und dann mit den Finanzierungsrunden nach und nach erhöht wird. Tatsächlich reißt man ja damit bei den heutigen Businessplänen eines Biotechnologie-Start-ups bzw. im Krisenfall nicht wirklich etwas heraus für die Gläubiger, rechtlich sind die Regelungen aber immer noch eine Art „heilige Kuh“.

Dr. Zech: Abseits des Themas „Gründung“ sollte auch das Szenario Insolvenz oder Liquidierung betrachtet werden. Im internationalen Vergleich ist der deutsche Verwaltungsakt einfach sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Bei der Abwicklung einer internationalen Firma trifft das auf viel Unverständnis bei ausländischen Partnern.

Dr. Kleinhans: Jedes europäische Land hat so seine Standardgesellschaftsform, die Benelux-Länder, der deutschsprachige Raum, UK. Die Fragen lauten immer: Wohin will man das Unternehmen entwickeln und passt meine Rechtsform in diese Entwicklung? Da sollte man sich an gängige Muster anlehnen, gerade auch, wenn man ein US-IPO in der Ferne plant. Die US-Börsen sind für Biotech ab einem gewissen Entwicklungsstand unumgänglich und die Delaware Inc. ein einfaches Werkzeug für alle Unternehmungen. Das ist eine schöne Standardsache der USA, dazu nimmt man einen US-VC-Standardvertrag von der NVCA, fertig – so einfach könnte es sein. So weit sind wir in Europa nicht, da wir keine für alle EU-Länder gültige „Europäische Standardgesellschaft“ und dazu einen Standardvertrag haben, die alles inkl. NASDAQ-IPO mitmachen kann. Jedes EU-Land hat eigene Gesetze, die (transnationale) Steuergesetzgebung wird dabei wie schon erwähnt auch oft nicht einmal berücksichtigt, ist aber ein Riesenthema. Im Geschäftsleben geht es aber einfach oft um „Freiheit“, um flexible, einfache Lösungen.

Braun: Würde dabei in Deutschland wirklich eine einheitliche rechtliche Gestaltung mittels Standardverträgen helfen, wie etwa das US-VC-Standardvertragswerk von der NVCA? Aus meiner Beobachtung sind die Akteure hier einfach noch nicht so weit, weil die (Aus-)Gründung eines Biotechnologie-Start-ups für diese kein Standardvorgang ist. Auch sehe ich, dass der Gedanke, in einem anderen Land zu gründen, am Anfang einfach nicht wirklich naheliegt. Bei Erstgründern stellt die (Aus-)Gründung selbst eine erste Herausforderung dar, bei der an eine Gründung in einem anderen Land mit vermeintlich unbekannter Rechtsform gar nicht zu denken ist. Dann stehen auch viele unterschiedliche Interessenlagen der verschiedenen Akteure der (Aus-)Gründung und Anfangsfinanzierung scheinbar gegeneinander, sodass die Nutzung eines Standardvertragswerks ohne vertiefte Verhandlung weniger infrage kommt.

Gründungsökosystem, Akteure, neue Initiativen – im internatio­nalen Vergleich

Evotec ist ein internationaler Player. Was macht das mit Ihrem Blick auf Deutschland im Vergleich der Länder?

Lassnig: Wir beklagen uns nicht so sehr über Deutschland, weil wir hier durchaus auch gute Standortbedingungen vorfinden, exzellente Wissenschaft, hoch qualifizierte Mitarbeiter etc. Aber es gibt auch Themen, die uns einschränken – da ist oft die Verwaltung ein Hinderungsgrund und man sieht im Ausland eine höhere Geschwindigkeit. Aber wir sehen da nicht negativ drauf, sondern agieren selbst mit neuen Initiativen, um Innovationen voranzutreiben. Darum machen wir eine neue Evotec-BRIDGE auch ­genau hier in Heidelberg.

Hat eine deutsche Evotec es da leichter mit deutschen Universitäten?

Lassnig: Das mag schon geholfen haben. Ich denke aber, dass dort unsere Plattform der wichtige Treiber ist – denn damit werden wissenschaftliche Erkenntnisse auf industriellem Niveau validiert, und das wäre sicher international von Vorteil. Wir bringen damit die Standardisierung und helfen mit der Übersetzung auf dem Weg zur Kommerzialisierung. Ein Scout von uns vor Ort berät die Wissenschaftler sehr konkret. In Heidelberg ist natürlich die Onkologie im Fokus, wir haben auch Bristol-Myers Squibb als „Pharma“ dabei in der BRIDGE. Apropos „deutsche Herkunft“: Begonnen haben wir mit den BRIDGEs in UK und Nordamerika, da war der deutsche Faktor also gar nicht vorhanden. Wir wollen die Innovationen voranbringen, als „Enabler“, und verfolgen diesen Ansatz langfristig.

Dr. Kleinhans: Das ist doch genau der gesuchte „Business Sense“, den Evotec so näher an die Wissenschaft heranträgt. Evotec schafft sich diese Kooperationsbrücken und die Public-Private Partnership (PPP) ist eine großartige Möglichkeit, diese Brücke zu bauen. So kann auch ein gemeinsames Businessverständnis entstehen, bei dem verschiedene Interessen zu einem gemeinsamen Mehrwert führen.

Corona: neue Wahrnehmung für Biotechnologie in Deutschland – mit unerwarteten Folgen

Corona war ein Game Changer für die deutsche Biotechnologie, aber auch für den Blick aus dem Ausland auf uns, oder? Können wir das nun sinnvoll nutzen?

Dr. Kleinhans: Man muss Biotechnologie nicht mehr erklären – mRNA kennt nun jeder Schüler.

Dr. Schuberth-Wagner: Absolut – die externe Wahrnehmung der Biotechbranche hat sich in jedem Fall geändert. Ich wünsche mir, dass die Pandemie und die herausragende Arbeit der deutschen Biotechunternehmen wirklich nachhaltig zu einem „neuen Normal“ in der Wertschätzung für Biotechnologie als die Technologiebranche von heute und der Zukunft führen wird, gerade in Deutschland.

Lassnig: Ich denke auch, dass Corona für den Sektor auch positiv sein kann. Bezüglich Finanzierungen sehen wir momentan keine Nachteile, im Gegenteil: In den USA gibt es eine Menge IPOs, und das Ganze ohne persönliche Roadshows. Gerade für Deutschland kann ich mir ein Aufwachen in Politik und Gesellschaft schon vorstellen.

Braun: In der Tat ist nun vielen die Branche, in der ich mit meinem Team vorwiegend berate, eher ein Begriff. Corona hat aber auch Auswirkungen an ganz anderer ­Stelle: Die Pandemie hat den Protektionismus der Länder ebenfalls weiter vorangetrieben. Etwa sind internationale Investitionen in Biotechnologie- und Medizintechnologieunternehmen unter Umständen gar nicht mehr so einfach. Deutschland hat mit den Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes vermeintliche Schutzmechanismen gegen einen „Ausverkauf“ deutscher Technologien und von Know-how geschaffen, und wir sehen in der Beratung einer Vielzahl von verschieden gestalteten Transaktionen nun das ­Erfordernis der sogenannten Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Schweitzer: Aber auch da muss man nicht nur nach Deutschland schauen – das ist auch bereits unter Obama so gewesen, dass die USA Schritte in Richtung Protektionismus gemacht haben.

Dr. Zech: International und innereuropäisch kann dieses Gesetz eine Hürde darstellen. Es wird sich allerdings zeigen, inwiefern es in seiner derzeitigen Form bestehen bleibt und ob es überhaupt Relevanz für uns hat als holländisches Unternehmen mit Niederlassung in Deutsch­land. Ich hoffe auf positive Änderungen, bis unsere Firma so weit ist, dass das Thema relevant ist. Wir behalten die Entwicklung im Auge.

Braun: Inhaltlich grundsätzlich verständlich. Aber aufgrund der zahlreichen Gesetzesänderungen in diesem und letztem Jahr unterliegen unter Umständen nun Investitionen in Biotechnologie- und Medizintechnologieunternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland oder exklusive Auslizenzierungen ins Nicht-EU-Ausland der Investitionskontrolle durch deutsche Behörden. Das zu durchlaufende Investitionskontrollverfahren ist komplex und zeitaufwendig und birgt das Risiko zu Standortentscheidungen gegen Deutschland. Als Signal sehe ich es daher als falsch für junge Technologie und Unternehmertum am Standort Deutschland.

Dr. Schuberth-Wagner: Einen Aufschrei unseres Branchenverbands hat es ja gegeben. Ich denke, die Ministerien haben das wahrgenommen und entwickeln hoffentlich pragmatische Lösungen in nächster Zeit. (Eine Überarbeitung des Gesetzes fügte nun neue, höhere Beteiligungsschwellen ab 20% und höher für eine Meldepflicht ein; Anm. d. Red.)

Gründer – neue Erfolgsgeschichten bringen die Wende?

Kommen wir nun einmal zu den handelnden Personen. Was muss der Gründer selbst mitbringen, in welches Abenteuer stürzt man sich da eigentlich, worauf muss man sich einlassen, was vorab bedenken – oder gilt hier auch ganz USA-mäßig „just do it“?

Dr. Kleinhans: Der große Effekt von BioNTech als „Gründerstory“ kann gar nicht überbewertet werden. Wichtig für unsere Szene sind aber auch die Wiederholungstäter, die MehrfachgründerInnen – das entwickelt sich hier in den letzten Jahren sehr positiv, ist aber enorm wichtig für unseren Standort.

Schweitzer: Auch im Hinblick auf Boston muss man bedenken, dass sich die Stadt erst zu einem Mekka der Biotechnologiebranche entwickeln musste – das war nicht immer so. Beflügelt durch Erfolgsgeschichten wie Genzyme oder auch Biogen ist in der Stadt ein Netzwerk entstanden, das einen nachhaltigen Effekt auf die Branche hatte und immer mehr Leute angezogen hat. Oft waren die Mitarbeiter, die den Erfolg von Unternehmen miterlebt haben, die Führungskräfte der nächsten Generation. Und trotzdem funktioniert auch dort nicht alles und nicht jedes Start-up ist eine Erfolgsgeschichte! Es gibt in Boston eine große Gruppe von Mentoren, die sowohl Erfolg als auch Misserfolg gesehen haben – auch das ist für einen Standort von großem Wert. Deutschland ist jetzt nach 20 Jahren erst an diesem Punkt.

Dr. Zech: Die Fehlerkultur bleibt sicher ein Thema. In Deutschland ist ein Scheitern weiterhin eher ein Manko, in den USA ­gehört „failure“ dazu und wird viel eher toleriert. Ich habe als Mitarbeiter meiner ersten Biotechfirma eine Insolvenz miterlebt. Das war nicht schön, aber auch eine Erfahrung. Auch das Thema Netzwerken bleibt verbesserungswürdig. In den USA ist die Community sehr aktiv und dynamisch verzahnt. Selbst an den deutschen Hotspots geschieht das bei Weitem nicht auf dem Niveau. Für mich war es bei meiner letzten Firma in den USA eine erfrischende Erfahrung, in einem „shared lab space“ zu arbeiten. Wenn dann noch Mentoring, Teaching und weitere Innovationsunterstützung im Paket dabei sind, dann kann man wirklich sagen: „Just do it.“

Dr. Kleinhans: Noch ein anderer Aspekt, der hierzulande eher selten ist: Ugur Sahin ist ja aus einfachen Verhältnissen, er musste Risiken eingehen, wenn er aufsteigen wollte. Man hat im wohlhabenden Deutschland schon oft eher saturierte Verhältnisse und die Leute scheuen vor Risiko zurück, weil sie einen ganz angenehmen Status zu verlieren haben. Die Durchlässigkeit andernorts ist größer, die Furcht vor dem Versagen geringer.

Lassnig: Vielleicht beginnt dies auch mit der Ausbildung. Unternehmertum, Risikobereitschaft sowie der konstruktive Umgang mit Rückschlägen sind wichtige Bausteine für die Persönlichkeitsentwicklung. Die Ausbildung zum Unternehmer wäre ein Kulturgut, ein Bildungsthema, eine gesellschaftliche neue Sichtweise, die Risiko und Innovation sowie Fehlschlag und Erfolg nicht als Gegensätze begreift, sondern als Zusammenhang und als Erweiterung von neuen Erkenntnissen.

Dr. Schuberth-Wagner: Neben Mut und der Fähigkeit, sich ständig auf neue Gegebenheiten einzustellen, sollte ein Gründer auch eine echte Hands-on-Mentalität, eine gute Portion Pragmatismus und Resilienz mitbringen sowie die Fähigkeit, das Brennen für seine Idee zu transportieren. Das geht am besten mit Selbstbewusstsein, welches ein Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten voraussetzt, und Erfahrung. Die Möglichkeit, wirtschaftliche und patentrechtliche Kenntnisse WissenschaftlerInnen früh zugängig zu machen, sei es über Fortbildungs- oder Mentoringprogramme – ich selbst habe den Weg über einen berufsbegleitenden MBA gewählt – ist ein wichtiger Baustein, einen neuen Gründer zum erfolgreichen Entrepreneur zu machen. Dadurch lässt sich selbstbewusster mit der deutschen Fehlerkultur und den gründungsinhärenten Risiken und Rückschlägen umgehen.

Finanzierung, Exit, Geld – wie geht Erfolg?

Haben wir dann überhaupt eine Chance, wenn die Unternehmer nicht an Schulen und Universitäten herausgebildet werden, wenn nicht genug Erfolgsbeispiele zum Nachahmen anregen, wenn unseren kapitalintensiven Innovationen immer das Geld fehlt?

Dr. Kleinhans: Wir haben in Europa zurzeit eine fantastische Situation mit enorm hohen Mengen an verfügbarem Risikokapital und öffentlichen Fördergeldern. Alle europäischen Fonds sammeln Rekordsummen ein, um diese in Biotech zu investieren. Der Finanzierungskreislauf funktioniert in Europa eher über Unternehmensverkäufe an Pharmafirmen, diese kann man schwierig auf ein bestimmtes Datum terminieren. In den USA ist der „Erlös“ über einen NASDAQ-Börsengang einfach der „normale Weg“. Sie müssen sich auch nichts anderes überlegen, da schon die Public-Fonds bereitstehen, die Finanzierung weiterzutreiben. Eine Symbiose von Private- und Public Equity, die immer weiter verschmilzt. In Europa sieht man jetzt immer mehr US-Investoren – wegen des aufblühenden Start-up-Ökosystems, aber vor allem wegen der guten Wissenschaft. Dennoch sehen sie dann ein IPO an die NASDAQ als den natürlichen Weg. Denn: Es muss schnell gehen, die Zeitachse von Gründung über Finanzierung zur Börsennotierung ist klar definiert. Dadurch ist der Finanzierungskreislauf terminiert und gleichzeitig bleibt er konstant im Fluss.

Schweitzer: In den USA hat die Börse allgemein auch einen ganz anderen Stellenwert. Investitionen in Form von Aktien werden bereits von jüngeren Menschen getätigt, da man schon früh mit dem Thema in Berührung kommt. Ich bin das erste Mal über die Aktienkurse in der Zeitung meines Vaters gestolpert, als ich gerade einmal acht Jahre alt war; mich interessierte, was das ist.

Dr. Kleinhans: US-Berater machen auch sehr schnell einen Anruf, sie wollen ein paar Shares für eine Beratung. Bei uns ist das Shareholdersein eine verantwortungsvolle Sache. Jede Firma hat auch eigene Regeln, der US-Shareholder ist ganz anders. Insgesamt gilt das Motto „make it, sell it“.

Dr. Schuberth-Wagner: Beteiligungsprogramme sind absolut ein Thema, denn die Internationalität der Firmen wächst gerade im Management recht schnell. Um das zu ermöglichen, werden entsprechend „internationale Gepflogenheiten“ erwartet. Instrumente wie virtuelle Optionsprogramme sind hier ein probates Mittel mit überschaubarer rechtlicher Auswirkung auf das Unternehmen, auch um neben Managern die Mitarbeiter für den oftmals kurzen Lebenszyklus eines Unternehmens zu incentivieren. Die Möglichkeiten der Motivation des gesamten Personals, vereint zum Unternehmenserfolg beizutragen, ist gerade bei kleinen Unternehmen noch nicht voll ausgeschöpft.

Braun: Zum Thema Mitarbeiterincentivierung und Beteiligungsprogramme möchte ich kurz einhaken: Hier muss jedes Unternehmen genau überlegen und sich beraten lassen, welche Form von Mitarbeiterbeteiligung und für welche Mitarbeitergruppe in Betracht kommt. Zu unterscheiden ist grundsätzlich zwischen einer „richtigen“ gesellschaftsrechtlichen Beteiligung und virtuellen Beteiligungsprogrammen. Beide Formen bringen gewisse rechtliche und steuerrechtliche Vor- und Nachteile mit sich.

Dr. Zech: Nach meiner Wahrnehmung zählen bei der Mitarbeiteransprache in Europa die Sinn-Frage, das Team und das Grundgehalt mehr als die „Boniangebote“. Mitarbeiter wollen etwas „für die Menschheit“ bewegen. Und in der Pandemie hat sich gezeigt, dass es gute Argumente für diese Haltung gibt. In den USA spielen ein Bonus und Optionen eine größere Rolle. Dies kann eine Herausforderung bei internationalen Konstellationen sein. Auch hier hat man in der Theorie viele Möglichkeiten der Incentivierung, aber rechtlich und auch steuerrechtlich wird es schnell kompliziert.

Schlussrunde – Wunschkonzert

Sie erhalten einen Posten in der neuen Bundesregierung. Welchen wollen Sie ausüben und was wäre Ihr Schwerpunkt?

Braun: Ich wähle natürlich den Posten der Justizministerin, um dann unter anderem eine deutsche Rechtsform zu entwickeln und zu etablieren, die ideal ist für junge Biotechnologieunternehmen. Diese soll, soweit möglich, alle Vorteile der GmbH, der deutschen Aktiengesellschaft und der Delaware Inc. in sich vereinigen.

Schweitzer: Mir läge eine start-up-freundliche Rechtsform für Unternehmen auch sehr am Herzen, ob aus dem Justiz- oder Wirtschaftsministerium angestoßen.

Dr. Zech: Für mich wäre ganz klar Bildung mein Fokusthema. Flexiblere Ausbildungsgänge, die an die Arbeitsplatzrealitäten besser angeglichen werden – es braucht deutlich mehr Aktivitäten in die Richtung „Unternehmertum“ auch aus der Wissenschaft.

Dr. Schuberth-Wagner: Auch ich würde mich besonders im Bereich der Bildung engagieren, ob aus dem BMBF oder BMWi, ist eher zweitrangig. Mein besonderes Augenmerk wäre hier die Förderung von crossfunktionalen Qualifikationen vor, aber auch nach dem Berufseinstieg, die eben auch Entrepreneurship umfassen sollten. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland exzellente Forschung hervorbringen, die aber an der Verwertung mangels wirtschaftlichen Grundverständnisses und frühen Fehlern noch vor der Gründung scheitert, oder dass sich die Gründer ihr unternehmerisches Handwerkszeug selbst jedes Mal neu aneignen müssen. Auch müssen die Fördermöglichkeiten für translationale Projekte während der akademischen Phase verstärkt werden, denn oft steht der Drang der akademischen Publikation einer erfolgreichen Gründungsvorbereitung aufgrund von wenig finanziellen Ressourcen im Weg. Hier haben die Programme GO-Bio und EXIST des BMBF und BMWi bereits viel geleistet, aber eine höhere Förderquote im Vorgründungsbereich wird zu mehr von Anfang an gut aufgestellten Start-ups führen.

Lassnig: Nachdem das Bildungsministerium bereits vergeben ist, würde ich gerne das Finanzministerium übernehmen, um die Bildungsinitiativen der Kolleginnen finanziell zu unterstützen. Es geht um eine gewaltige Ausbildungsoffensive, gerne gemeinsam mit dem neuen Gesundheitsminister, auch gezielt für diesen Hightechbereich.

Dr. Kleinhans: Da diese Stelle auch neu besetzt werden muss, warum nicht Kanzlerin? Ich würde schon gerne einmal auf vielen Baustellen aufräumen, die wir heute angerissen haben. Generell ginge es darum, Innovationen zu finanzieren und voranzubringen, damit die Biotechnologiebegeisterung nicht bald wieder abebbt.

Sehr geehrte Damen, wir danken für diese interessante Gesprächsrunde.

Das Interview führte Dr. Georg Kääb.

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